Aktivistinnen

KLARA MARIE FASSBINDER (1890-1974)

von Barbara Degen

Pädagogikprofessorin & Friedensaktivistin

"Wir sind Hüterinnen, Wachen ist unser Auftrag, unser Amt ist Friede.


1945/46 wurde Klara Marie Faßbinder eine der ersten Professorinnen der Pädagogischen Akademie in Bonn. Immer wieder betonte sie die christliche Verpflichtung, Politik im Sinne der einzelnen Menschen und des Friedens zu machen. Weil sie sich gegen den Wiederbewaffnungskurs der Regierung Adenauer wandte und die west­deutsche Frauenfriedensbewegung mit aufbaute, wurde sie ab 1952 mit einem Disziplinarverfahren, einer Entlassungsdrohung und einem Hausverbot überzogen mit dem Ziel, sie aus dem Staatsdienst zu entfernen.

Freundlich-ironisch wurde sie von vielen „Friedensklärchen" genannt, während ihre Gegner in der Regierung und der Ministerialbürokratie sie für eine verkappte, von der DDR gesteuerte Kommunistin und für eine „fanatische Geisteskranke" hielten. 

 Erinnerungsorte in Bonn:

  • Wandrelief Regina Pacis am Hauptgebäude der Universität, Regina-Pacis-Weg 3

ROSI GOLLMANN (*1927)

von  Ute Fischer

Religionslehrerin & Gründerin der Andheri-Hilfe und -Stiftung

"Der Mensch kann nicht entwickelt werden; er kann sich nur selbst entwickeln.“ 

Mitmachen ist alles!“, schreibt Rosi Gollmann als Widmung in ihre Biografie. Sie hat nicht nur mitgemacht, sie hat es anderen vorgemacht und „das Unmögliche gewagt für unsere Welt“ ‐ wie der Untertitel ihrer Biografie „Einfach Mensch“ lautet. Vor über 60 Jahren ist es die Handvoll Reis, die den indischen Kindern im Waisenhaus von Andheri fehlt. Bald schon gibt Rosi Gollmann vielen Menschen mehr als nur diese Handvoll Reis. Sie gründet die Andheri‐Hilfe, die Unterprivilegierten fortan Perspektiven und Hilfe zur Selbsthilfe bietet. 

Große Beachtung findet Rosi Gollmanns Engagement auch in den Medien. Jour­na­list*innen suchen sie auf, einige begleiten sie nach Indien und Bangladesch – und sind beeindruckt von ihrer Willenskraft und Unerschrockenheit. Franz Alt dreht über mehrere Jahre sieben Dokumentarfilme über Andheri‐Projekte. Rosi Gollmann ist zu Gast in Talk­shows von Frank Elstner, Johannes B. Kerner, Bettina Böttinger und Markus Lanz. 

Erinnerungsorte in Bonn:

  • Geburtshaus: Vivatsgasse 4
  • Erster Sitz der Andheri-Hilfe: Michaelstr. 17
  • Andheri-Hilfe und -Stiftung: Mackestr. 53

LOTTE LEMKE (1903-1988)

von  Ulrike Klens

Ein Leben für die Arbeiterwohlfahrt - an der Seite ihrer Lebensgefährtin 

"In der Arbeiterwohlfahrt (kennt) die helfende Beziehung naturgemäß keine Opfer und Almosen, kein Von-oben-Geben und Von-unten-Empfangen, sondern die glei­che Ebene menschlicher Solidarität“. (1953) 
 

Auf dem Poppelsdorfer Friedhof befindet sich dieser Grabstein. Ungewöhnlich ist, dass dort die Namen zweier Frauen stehen.

Es handelt sich um das Ehrengrab der Sozial­arbei­terin Lotte Lemke. Diese wurde 1929 von Marie Juchacz, der Gründerin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) 1919, nach Berlin geholt und 1930 mit der Geschäftsführung der AWO betraut. Nach der Zerschlagung der AWO 1933 durch das NS-Regime ging Lotte Lemke in den Widerstand. Nach 1945 wurde sie erneut Geschäftsführerin, ab 1951 stellvertretende, später Bundes­vor­sit­zen­de der AWO. Sie war maßgeblich am Wiederaufbau der Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt und prägte den Ausbau der AWO zu einem leistungs­fähi­gen Wohl­fahrts­­verband der Bonner Republik nach dem von ihr 1953 formulierten Prinzip „Humanitäres Handeln aus politischer Verantwortung“.

Neben Lotte Lemke ist ihre jahrzehntelange Lebensgefährtin, die Kinder- und Jugend­psychotherapeutin Anneliese Kantzke, beerdigt. Die beiden kannten sich seit 1931.

Erinnerungsorte in Bonn:

  • Poppelsdorfer Friedhof: Stationsweg 25 
  • Wohnung ab 1958: Ürziger Str. 12, ab 1968: Venusbergweg 2 
  • Lotte-Lemke-Haus: Liegnitzer Str. 14

RUTH SCHLETTE (1933-2024)

von Barbara Degen

Sie hoffte auf eine bessere Welt. Wie alle Kriegskinder. 

"Es ist ein Glücksgefühl, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten."


Als Kind und junges Mädchen, geboren in Lindau am Bodensee, fühlte sie sich dort fremd, isoliert und als Außenseiterin. Sie galt als „zu wild, zu frech und zu unangepasst". Sie erlebte, dass sie als Mädchen weniger wert war als ihre jüngeren Brüder. Beim sonntäglichen Spaziergang pflegte ihr Vater seine Kinder mit der Bemerkung vorzustellen: „Ich habe vier Buben und eine Hypothek." Als der Zweite Weltkrieg begann, war sie sechs. Sie war zehn, als sie knapp dem Tod im Luftschutzkeller entrann.

Der Kontakt zu Chileninnen und Chilenen, die nach dem Militärputsch nach Deutschland geflohen waren, gwann für sie zunehmende Bedeutung. Die Kinderhilfe Chile wurde ab 1975 ihr neues politisches Betätigungsfeld.

Ruth Schlette war dabei, als in Beuel im Jahr 1992 aus Protest gegen die Brandstiftungen an Asylbewerber-Heimen die „Beueler Initiative gegen Fremdenhass“ gegründet wurde. Für die Initiative bestand von Anfang an eine Verbindung zwischen dem heutigen Fremdenhass und dem Judenhass, der zum Holocaust führte. 

Erinnerungsorte in Bonn:

  • Gedenktafel für die ehemalige Synagoge in Beuel: Synagogenplatz

HEIDE SCHÜTZ (*1941)

von Jennifer Trierscheidt

Lehrerin, Vorsitzende & Begründerin des Frauennetzwerk für Frieden 

Inmitten der politischen Ereignisse von 1941 kam Heide Wendt als erstes von vier Kin­dern in Berlin‐Friedenau zur Welt. Zu dieser Zeit war Berlin ein Kriegsschauplatz, Trüm­mer bestimmten das Stadtbild. Die junge Heide bemerkte die nächtlichen Fliegerbomber jedes Mal als Erste, weckte ihre Mutter, um Schutz im Keller zu suchen. Das Haus blieb unversehrt, doch einige Familienmitglieder verloren auf tragische Weise ihr Leben. 

Sie nahm an der Arbeitsgruppe „Frauen und Frieden“ teil, wurde stellvertretende Sprecherin und reiste als eine von 40 deutschen Frauen mit dem Deutschen Frauenrat im September 1995 nach Peking zur vierten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen. 

Nicht zufällig wurde wenige Monate später das Frauennetzwerk für Frieden e.V. (FNF) gegründet und für Heide begann ein neuer Lebensabschnitt. Als „plötzlich anderer Mensch“ beschreibt sie ihr Wesen in diesen ersten Jahren der aktiven Friedensarbeit, und alles damit Zusammenhängende als „Geschenk in meinem Leben“. 

Erinnerungsorte in Bonn:

  • Bertha von Suttner Denkmal: Bertha-von-Suttner-Platz 25
  • Büro der Friedensfrauen: Kaiserstr. 201

SABRIYE TENBERKEN (*1970)

von Gera Kessler

Tibetologin  & Gründerin einer Blindenschule in Tibet und einer Ausbildungsstätte für soziale Visionäre aus Randgruppen in Indien

 "Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: Wenn du etwas wirklich willst, dann wirst du es auch irgendwie schaffen."    


 Mit etwa 10 Jahren beginnt sie  zu spüren, dass sich ihre Sehfähigkeit aufgrund einer angeborenen Netzhauterkrankung weiter vermindert. Die anderen Kinder in ihrer Bonner Waldorfschule hänseln sie, und die Lehrer*innen beginnen sie zu bemitleiden. Und dann wird sie mit der Autobiographie von Angela Davis konfrontiert, die ihren Weg aus den Diskriminierungen als schwarze Frau in Amerika gefunden hatte, indem sie die damit verbundene Abwertung für sich selbst aufhob: „Black is beautiful“. Und für Sabriye, die mit 12 Jahren vollständig erblindet ist, ergibt sich daraus, wie sie sagt, ihr Weg in die Zukunft: „Black is beautiful –  black is blind – blind is beautiful“.
 

"Früher in Bonn sagte man mir manchmal: ‚geh doch dahin wo der Pfeffer wächst‘: jetzt bin ich genau da, wo der Pfeffer wächst ‐ und noch vieles anderes.

Erinnerungsorte in Bonn:

  • Freie Waldorfschule: Stettiner Str. 21

INGEBORG WICK (*1946)

von Barbara Degen

Anglistin, Romanistin, Aktivistin der Anti-Apartheid-Bewegung & Analytikerin des Zusammenhangs von Frauen und Weltwirtschaft 

1974 machte Ingeborg Wick das Zweite Staatsexamen als Lehrerin. Sie bekam den Hinweis, dass die von Kirchenvertretern wie dem Pfarrer Markus Braun gegründete Anti-Apartheid-Bewegung (AAB), ein gemeinnütziger Verein, eine/n Geschäftsführer/in suchte. Inge­borg Wick bekam den Job und verzichtete damit auf eine gesicherte Stelle im öffentlichen Schuldienst. Sie eröffnete das Büro in Bonn, um Einfluss auf die bundesdeutsche Politik zum südlichen Afrika zu nehmen. 
 

Schwerpunkt ihrer späteren Arbeit beim Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene wurden für Ingeborg Wick die Verlagerungen der Produktionen in sogenannte Billiglohnländer und die Auswirkungen auf die dortigen Arbeitsbedingungen. Frauen und Weltwirtschaft war jetzt für Ingeborg Wick der neue Fokus. Sie analysierte den Zusammenhang zwischen Familienarbeit und Frauenarbeit bei den Textilarbeite­rin­nen, den Prostitutionstourismus, die Lage der Reinigungsfrauen und griff Firmen wie Aldi und Adidas direkt in eigenen Broschüren an. 

Erinnerungsorte in Bonn:

  • Büro der Anti-Apartheid-Bewegung: Blücherstr. 14
  • Südwind-Institut für Ökonomie und Okumene: Kaiserstr. 201